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Die Kirchenburg ergreift das Wort

Meine Damen und Herren, verehrte Mitburgen,

ich muss euch sagen, was man als Kirchenburg erlebt, das ist schon eine kuriose Sache: Jahrhundertelang steht man in der Weltgeschichte herum, und allerlei merkwürdige Gäste statten einem einen Besuch ab. Ich hatte sie nicht eingeladen, aber sie kamen trotzdem. Dabei sind die ungebetenen Gäste selbstredend in der Überzahl – eine Katastrophe – denn als Burg braucht man naturgemäß Verteidigung und Ruhe. Zu wenig davon stört das Gleichgewicht, ein Übermaß an Ruhe ist jedoch wiederum auch nicht wünschenswert, weil man sonst Risse bekommt. Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass diese vielen Jahrhunderte nicht gut für meine Gesundheit sind.

Aber ich möchte von vorne beginnen: Das Ganze begann bereits ganz vortrefflich, als dieser Vlad Ţepes hier vorbei kam: das erste Ereignis, an das ich mich als junge Burg bewusst erinnern kann. Er kam hier 1456 an und hat erst einmal alles niedergebrannt. Eine Unverfrorenheit, wenn man mich – ausgehend von meiner burgerlichen Weltsicht – fragt. Aber als junge Burg hat man noch halbwegs Nerven, diese unflätigen Menschen und deren sonderliche Handlungen zu ertragen. Das gibt sich allerdings, meine Damen und Herren, das gibt sich.

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Was kann ich noch berichten? Auch Micheal der Tapfere ist hier herumgestromert – ihm sei Dank brannte hier 1601 das Kirchenkastell ab – was für ein Flegel. Und dann diese Heuschreckenplage vor 191 Jahren – ich erinnere mich noch genau – denn eine Kirchenburg vergisst nichts.
Seit neuestem finden hier, und damit meine ich die Zeitspanne eines Augenblicks seit den neunziger Jahren, andere Merkwürdigkeiten statt. Diese sind mir jedoch lieber als herumziehende historische Gestalten, die ihr Unwesen treiben und meine Ruhe stören.

Was mir aber vor kurzem passiert ist, davon muss ich noch erzählen: Zum ersten Mal fand in meinen Mauern ein  Weihnachtsmarkt statt – mit bunten Ständen, vielen Menschen, allerlei guten Dingen und viel Musik: Eine Blaskapelle hatte ich zu Gast und auch einen Chor von Colinde-Sängerinnen. Sogar eine lebendige Krippe habe ich nun miterleben können.

Über die vielen spielenden Kinder, die lachend im Schnee und innerhalb meiner Mauern Verstecken gespielt haben, habe ich mich gefreut. Besser als durchziehende Horden, die plündern und rauben, war es in jedem Fall. In diesem Sinne und mit wärmenden Gedanken an die Kinder wünsche ich Ihnen, meine Damen und Herren, sowie allen Burgen Siebenbürgens ein gesegnetes Jahr 2019. Auf die nächsten 700 Jahre.

Text: Aurelia Brecht